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Gewalt durch Pflegende an Pflegebedürftigen

Erstellt am 07.09.2023 | Joanna Gründel
Geschätzte Lesedauer: 7 Minuten

Durch die besonders enge Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen können Spannungen entstehen, die zu Aggressionen seitens der Pflegenden oder der Pflegebedürftigen führen können. Studien zu Gewalt in der Pflege legen nahe, dass Aggressionen unterschiedlichster Art ein weit verbreitetes und ernstzunehmendes Problem darstellen. Welche Formen von Gewalt auftreten können und wie man sie verhindern kann, erfahren Sie im Folgenden.

Bildausschnitt von zwei Händen. Eine jüngere Hand liegt Zuneigung spendend auf der Hand einer Seniorin auf.
Bild von Sabine van Erp auf Pixabay

In einer Studie der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) aus dem Jahr 2018 gaben 72 Prozent der Beschäftigten in stationären Pflegeeinrichtungen in Hessen und Nordrhein-Westfalen an, im vergangenen Jahr mindestens einmal Gewalt ausgeübt zu haben. Bei der Befragung von 1.000 Pflegekräften sprachen 32 Prozent von psychischer und 12 Prozent von körperlicher Gewalt.

Was ist Gewalt?

Gewalt ist jede Handlung oder Drohung, die darauf abzielt, körperlichen, psychischen, emotionalen oder sexuellen Schaden zuzufügen. Was jemand als Gewalt empfindet, ist sehr subjektiv und kann von sozialen und kulturellen Normen geprägt sein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert, was sie unter Gewalt gegen ältere Menschen versteht, wie folgt:

Gewalt kann demnach auch die Form von Anschreien, Grobheit oder Ignorieren des Pflegebedürftigen annehmen.

Die fünf Formen der Gewalt

Die Stiftung ZQP unterscheidet fünf Formen von Gewalt in der Pflege: körperliche, psychische, sexuelle und finanzielle Gewalt sowie Vernachlässigung. Nicht alle Formen von Gewalt in der Pflege sind auf den ersten Blick als solche erkennbar, daher ist es wichtig, sich entsprechend fortzubilden und seine Wahrnehmung zu schärfen. Dafür ist es sinnvoll, sich die verschiedenen Formen von Gewalt im Detail anzuschauen und die Ausprägungen zu verinnerlichen.

Erste Form: Physische/Körperliche Gewalt

Es ist klar, dass jede Handlung mit dem Ziel der körperlichen Schädigung eines Patienten, wie z.B. Schlagen, Treten, Quetschen, Festbinden oder Ersticken, eindeutig unter diese Form fällt. Es gibt aber noch andere Handlungen, die dazu gehören, aber vielleicht erst auf den zweiten Blick als Gewalt erkennbar sind:

  • Verweigerung von Essen oder Medikamenten als Strafe

  • Zu heißes oder kaltes Wasser zum Waschen

  • Verabreichung von Medikamenten, Nahrung oder Behandlungen gegen den Willen der pflegebedürftigen Person

  • Schütteln, grobes Anfassen oder Kratzen

  • Ruhigstellen oder Fixierung durch freiheitsentziehende Maßnahmen wie Festbinden, Hochziehen von Bettgittern, Einsperren in einem Raum, Verabreichung nicht verordneter Medikamente o.ä. ohne ärztliche bzw. richterliche Anordnung

  • Wegnahme von Hilfsmitteln wie Gehstock, Rollator oder Brille

Zweite Form: Psychische Gewalt

Diese Form der Gewalt umfasst Handlungen, die darauf abzielen, einem Patienten seelischen Schaden zuzufügen, wie zum Beispiel das Ignorieren von Bedürfnissen, Einschüchterung, Ausgrenzung, emotionale Manipulation oder Verleumdung. Psychische Gewalt ist noch schwieriger zu erkennen als körperliche Gewalt und kann in einigen Fällen mit schlechter Kommunikation zu tun haben.

  • Ignorieren von Bitten oder Bedürfnissen der Pflegebedürftigen

  • Unangemessener Umgang wie Schreien, Auslachen, Babysprache oder Schimpfen

  • Erzwingen oder Verweigern von Kontakten, z.B. zu Familie und Freunden, als Bestrafungs- oder Kontrollmaßnahme

  • Abwertende oder herablassende Äußerungen gegenüber Pflegebedürftigen

  • Missachten, Blickkontakt vermeiden oder ignorieren

  • Das Erzählen von Lügen oder falschen Geschichten, um Pflegebedürftige zu verwirren oder zu belügen

  • Verwendung von Drohungen oder Einschüchterung gegenüber Pflegebedürftigen, um sie zu kontrollieren

  • Missachtung religiöser Vorschriften

  • Verweigerung von Informationen oder des Zugangs zu Informationen, um die Pflegebedürftigen in Unwissenheit zu halten
  • Nicht zu Wort kommen lassen, sich einmischen

Dritte Form: Sexuelle Gewalt

Jegliche Form der Verletzung der Intimsphäre, der Ausbeutung eines Pflegebedürftigen oder des sexuellen Missbrauchs, z.B. unangemessene Berührungen, Erzwingung sexueller Handlungen oder Erpressung.

  • Das ungefragte Öffnen von Briefen oder das Lesen privater Dokumente der Pflegebedürftigen

  • Die Durchführung der Körperpflege bei offener Tür

  • Intimkontakte verlangen oder gar erzwingen
  • Sexuelle Anspielungen machen

Vierte Form: Finanzielle Gewalt

Jegliche Form von Ausbeutung oder Betrug gegenüber einer pflegebedürftigen Person, einschließlich Diebstahl, Betrug, Missbrauch von Kreditkarten oder Konten oder Ausnutzung finanzieller Abhängigkeit.

  • Ausübung von emotionalem Druck, Drohungen, um die pflegebedürftige Person zur Herausgabe von Geld oder Eigentum zu zwingen
  • Dokumente fälschen oder falsche Ausgabenberichte einreichen, um zusätzliche Mittel oder Gelder zu erhalten

  • Pflegegeld oder Eigentum der pflegebedürftigen Person für eigene Zwecke verwenden

  • Vorenthalten von Geld oder Informationen

Fünfte Form: Vernachlässigung

Vernachlässigung wird auch als eine Form von Gewalt in der Pflege angesehen. Sie kann aktiv oder passiv sein und tritt auf, wenn die Grundbedürfnisse einer pflegebedürftigen Person, wie Nahrung, Flüssigkeit, medizinische Versorgung, Hygiene oder Schutz vor Gefahren, nicht erfüllt werden.

  • Vernachlässigung der Aufsicht z. B. beim Duschen

  • Schlechte körperliche und medizinische Pflege z. B. bei der Wundversorgung

  • Verweigerung von Bewegung

  • Falsche oder unangemessene Kleidung z. B. nicht dem Wetter entsprechend

  • Den Pflegebedürftigen in seiner schmutzigen Kleidung belassen

  • Ignorieren von Gefahrenquellen

  • Hilfsmittel vorenthalten z. B. Gehhilfen oder die Zahnprothese


Wie erkennt man Gewalt in der Pflege?

Die Anzeichen für Gewalt in der Pflege lassen sich in zwei Kategorien einteilen: äußere Anzeichen und Verhaltensänderungen der pflegebedürftigen Person.

Äußere Anzeichen Verhaltensänderungen
Blutergüsse, Kratzer oder andere Verletzungen Vermeidung von Augenkontakt oder sozialer Interaktion
Verbrennungen oder Verbrühungen Rückzug oder Isolation von Freunden oder Familie
Untergewicht, Dehydration oder Anzeichen von Unterernährung Angst, Depression oder erhöhter Stress
Schmutzige, ungepflegte Kleidung oder Körper Veränderungen im Schlafmuster oder Appetit
Medikamentenmissbrauch oder Überdosierung Selbstverletzung oder Suizidgedanken
Fehlende Gegenstände oder Geld, die möglicherweise gestohlen wurden Misstrauen gegenüber der Person, die für die Pflege zuständig ist
Unhygienische oder unangemessene Pflegebedingungen Verwirrung oder Desorientierung

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Anzeichen nicht immer eindeutig auf Gewalt in der Pflege hinweisen. Es kann auch andere Gründe für Verhaltensänderungen oder äußere Anzeichen geben.

Ein Bluterguss kann auch durch einen Sturz verursacht worden sein, der sich nicht immer vermeiden lässt, und Verwirrung oder Desorientierung können auch durch das Fortschreiten einer Demenz oder einer ähnlichen Erkrankung hervorgerufen werden. Wenn Sie jedoch vermuten, dass eine Person Opfer von Gewalt in der Pflege geworden ist, sollten Sie unbedingt Hilfe in Anspruch nehmen, um die Situation zu klären. Hilfe erhalten Sie z. B. über Krisentelefone. Die Stiftung ZQP führt eine Liste mit Krisentelefonen in ganz Deutschland.

Wenn Pflegende Gewalt anwenden

Es gibt verschiedene Gründe, warum Pfleger manchmal gewalttätig werden können. Nicht immer steckt hinter Gewalt in der Pflege eine böse Absicht, oft sind sich beispielsweise pflegende Angehörige gar nicht bewusst, dass ihr Handeln übergriffig sein kann, weil sie nicht ausreichend darauf vorbereitet sind. Aus Unwissenheit handeln sie dann unangemessen. Pflege kann sehr anspruchsvoll sein und viele Herausforderungen mit sich bringen.

Wenn Pflegende sich überfordert oder frustriert fühlen, können sie gewalttätig werden. Eine angemessene Ausbildung (z. B. Pflegekurse besuchen) und ausreichende Ressourcen sind erforderlich, um den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen gerecht zu werden. Wenn sie nicht über ausreichende Kenntnisse oder Ressourcen verfügen, sind sie möglicherweise nicht in der Lage, angemessen auf Herausforderungen zu reagieren, und können dadurch ihre Beherrschung verlieren. Stress, finanzielle Probleme oder Beziehungsprobleme können ebenfalls dazu führen, dass die Pflegeperson ihre Frustration oder Aggression an der pflegebedürftigen Person auslässt. Auch der Rollenwechsel, z.B. wenn die Tochter die Mutter pflegt und diese dadurch „zum Kind“ wird, kann Auswirkungen haben. Alte Konflikte brechen wieder auf und der Wunsch nach „Rache“ wächst.

In der Welt der Pflegeberufe kommen Fachkräftemangel und schlechte Bezahlung hinzu. Der Beruf des Altenpflegers gilt als unattraktiv und durch die Anhäufung von Überstunden steigt die Gefahr der Überforderung, die auch in einem Burnout oder in Gewalt gegenüber den Pflegebedürftigen enden kann. Natürlich sind all diese Gründe keine Entschuldigung für das Verhalten des Angehörigen oder der Pflegekraft, aber wenn man sich bewusst ist, warum man aggressiver wird, kann man etwas dagegen tun.

Maßnahmen und Prävention gegen Gewalt in der Pflege

Es ist wichtig zu betonen, dass die Prävention von Gewalt in der Pflege eine gemeinsame Verantwortung der Pflegenden, der Pflegebedürftigen und der Gesellschaft ist. Jeder kann dazu beitragen, Gewalt in der Pflege zu verhindern, indem aufeinander geachtet, respektvoll miteinander umgegangen und angemessene Unterstützung angeboten wird. Achten Sie auf Anzeichen von Überforderung wie ständige Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Gereiztheit, Schlafstörungen, übermäßiger Alkoholkonsum oder Kopfschmerzen und reagieren Sie gegebenenfalls darauf: Holen Sie sich Hilfe und Rat. Sie müssen das nicht alleine durchstehen. Versuchen Sie, Frustration, Ärger, Ungeduld oder Angst bei sich selbst frühzeitig zu erkennen. Reagieren Sie darauf, indem Sie zum Beispiel den Raum verlassen, tief durchatmen, die Augen schließen und ein Gespräch führen, um den Frust abzubauen.

Weitere Maßnahmen und Präventionsstrategien, die dazu beitragen können, Gewalt in der Pflege zu verhindern, sind folgende:

  1. Schulungen und Sensibilisierung: Die Pflegenden sollten regelmäßig geschult und sensibilisiert werden, um Gewalt zu vermeiden und angemessen auf Konflikte und schwierige Situationen in der Pflege zu reagieren. Dies kann Schulungen zu Themen wie Konfliktmanagement, Deeskalationstechniken oder kultureller Sensibilität beinhalten. Als pflegender Angehöriger sollten Sie unbedingt Pflegekurse besuchen, die Ihnen nicht nur Grundkenntnisse vermitteln, sondern Sie auch für bestimmte Themen sensibilisieren können. Auch Online können Sie sich Wissen aneignen bspw. unter pflege-gewalt.de, befund-gewalt.de oder gesundheitsdienstportal.de.
  2. Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende kann ein Beitrag zum Abbau von Stress und Überlastung der Pflegenden sein, was wiederum ein Beitrag zum Abbau von Gewalt in der Pflege sein kann. Dazu können eine angemessene Personalausstattung, ausreichende Pausenzeiten und eine angemessene Bezahlung gehören.
  3. Verbesserung der Kommunikation: Eine klare und offene Kommunikation zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen kann dazu beitragen, Missverständnisse und Konflikte zu vermeiden. Dazu können eine einfache Sprache, der Einsatz nonverbaler Kommunikation und ausreichend Zeit für Gespräche gehören.
  4. Unterstützung von Pflegepersonen: Pflegende sollten angemessene Unterstützung erhalten, um ihre Arbeit erfolgreich ausführen zu können. Dies kann Ausbildung, Supervision und psychologische Unterstützung in schwierigen Situationen umfassen. Nutzen Sie als pflegender Angehöriger beispielswiese die Möglichkeiten der kostenlosen Pflegeberatung bzw. Pflegekurse.
  5. Meldesysteme und Interventionen: Zur Meldung von Gewalt in der Pflege und zur Einleitung von Interventionen zum Schutz der Pflegebedürftigen und zur Unterstützung der Pflegenden sollten Meldesysteme eingerichtet werden. Dazu können Maßnahmen wie die Einrichtung von Meldestellen oder das Angebot von Krisenintervention im Notfall gehören.
  6. Einhaltung von Ethikstandards: Ethische Standards und Richtlinien sollten eingehalten werden, um sicherzustellen, dass Pflegebedürftige mit Respekt und Würde behandelt werden. Dazu können Standards für die Qualität der Pflege, die Einhaltung von Gesetzen und die Förderung der Menschenrechte gehören.

Zuletzt geändert am 23.02.2024

QUELLEN
  1. European report on preventing elder maltreatment, https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0010/144676/e95110.pdf (besucht am 06.09.2023)
  2. Ratgeber Pflege. Alles, was Sie zum Thema Pflege wissen sollten, 2022, Berlin, S. 46ff.
  3. Gewalt in der Pflege. Erfahrungen und Einschätzungen von Pflegefachpersonen und Schülern der Pflegeberufe, https://www.dip.de/fileadmin/data/pdf/projekte_DIP-Institut/Studienbericht-DIP-B_Braun_GiP-final2.pdf (besucht am 06.09.2023)
  4. ZQP – Report: Gewaltprävention in der Pflege, https://www.zqp.de/wp-content/uploads/Report_Gewalt_Praevention_Pflege_Alte_Menschen.pdf (besucht am 06.09.2023)
  5. Aggression und Gewalt in der informellen Pflege – 2018: https://www.zqp.de/informelle-pflege-gewalt/ (besucht am 06.09.2023)
  6. Wie oft kommt Gewalt in der Pflege vor?, https://www.pflege-gewalt.de/wissen/haeufigkeit/ (besucht am 06.09.2023)

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