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PFLEGEBEDÜRFTIGKEIT

In kleinen Schritten zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff

Erstellt am 05.09.2023 | Joanna Gründel
Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

Am 1. Januar 1995 wurde in Deutschland die Pflegeversicherung eingeführt. Mit ihr entstand ein spezifisches Verständnis von Pflegebedürftigkeit, welches diesem Versicherungszweig zugrunde liegt. Dieser Begriff wurde von Beginn an diskutiert sowie kritisiert und im Laufe der Zeit angepasst.

Nahaufnahme einer älteren Person, die einen Vertrag mit einem Kugelschreiber unterschreibt.
Bild von Sabine van Erp auf Pixabay

In der Vergangenheit lag der Fokus oft rein auf der medizinischen Versorgung von pflegebedürftigen Menschen. Es ging vor allem darum, ihnen eine angemessene ärztliche Behandlung zukommen zu lassen und ihre körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Eine ganzheitliche Betrachtung von Pflegebedürftigkeit fand dabei kaum statt.

Ab 1995 – Einführung der Pflegeversicherung

Mit der Einführung der Pflegeversicherung in Deutschland im Jahr 1995 wurde zum ersten Mal ein Verständnis von Pflegebedürftigkeit verankert. Hierbei geht es nicht mehr nur um die medizinische Versorgung, sondern auch um die Unterstützung und Hilfe bei alltäglichen Aktivitäten. Jedoch wurden zentrale Probleme und Bedarfslagen verschiedener pflegebedürftiger Menschen ausgeklammert, wie die von Demenzerkrankten oder anderen chronisch Erkrankten.

Ende 2006 bis 2015 – Vorbereitungsphasen für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff

  1. Vorbereitungsphase (2006 – 2009):

    Im Jahr 2006 wurde vom GKV-Spitzenverband ein Modellprojekt in Auftrag gegeben. Ein begleitender Expertenbeirat sollte den bestehenden Pflegebedürftigkeitsbegriff überprüfen und gegebenenfalls weiterentwickeln. Der Beirat legte 2009 einen Abschlussbericht vor, in dem er eine Überführung der bisherigen Pflegestufen in ein neues System vorschlug, das sich stärker an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientiert. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde nicht gesetzlich verankert.

  2. Vorbereitungsphase (2012 – 2013):

    In dieser Phase wurden die Empfehlungen des vorherigen Expertenbeirats aufgegriffen und weiter konkretisiert, da für bestimmte Personengruppen Defizite festgestellt wurden. Es wurden weitere unterschiedliche Modelle zur Ermittlung des Pflegebedarfs und zur Verbesserung der Versorgung entwickelt und erprobt. Dabei wurde auch eng mit den Kostenträgern und Pflegeverbänden zusammengearbeitet. Die Frage, welche Leistungen Pflegebedürftige nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erhalten, konnte jedoch noch nicht beantwortet werden. Zudem wurde der Begriff auch in dieser Phase nicht gesetzlich verankert.

  3. Vorbereitungsphase (2014 – 2015):

    Die Ergebnisse der Erprobungsphase wurden ausgewertet und dienten als Grundlage für politische Entscheidungen. Zur Vorbereitung der Umstellung auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und zur Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden Gesetzentwürfe erarbeitet und diskutiert. Der GKV-Spitzenverband plädierte dafür, die praktischen Auswirkungen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu erproben. Die Erprobung erfolgte im Rahmen von zwei Studien. In der ersten Studie wurde über einen Zeitraum von zehn Monaten bundesweit in ca. 40 Pflegeheimen bei ca. 2000 Personen ein Vergleich durchgeführt: Welche Leistungen haben die Pflegebedürftigen bisher erhalten und welche Leistungen und Pflegegrade erhalten sie nach dem neuen Begutachtungssystem? In der zweiten Studie wurden ca. 2000 Pflegebedürftige über einen Zeitraum von neun Monaten vom MDK mit dem neuen Bewertungsinstrument begutachtet.


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In schnellen Schritten zur Pflegereform 2017

Die neu definierte Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde schließlich im Pflegestärkungsgesetz I (PSG I) verankert, das am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist. Mit dem PSG I sollte die Pflegeversicherung gestärkt und die Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen verbessert werden. Bereits zum 1. Januar 2016 folgte das PSG II, mit dem ein neues Begutachtungssystem zur Feststellung des Pflegegrades eingeführt wurde. Dabei werden nicht mehr nur körperliche Einschränkungen, sondern auch kognitive und psychische Beeinträchtigungen berücksichtigt. Mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) aus dem Jahr 2017 wurden auch die Pflegeleistungen angepasst. So erhalten nun auch Demenzkranke, dauerhaft psychisch Kranke oder geistig Behinderte die gleichen Leistungen, die körperlich Kranke schon lange erhalten.

Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff

Das neue Begutachtungsverfahren berücksichtigt nicht nur körperliche, sondern auch kognitive und psychische Beeinträchtigungen sowie Einschränkungen in der Alltagsbewältigung und die damit verbundenen Therapien. Auch die Gestaltung des Alltagslebens und die Pflege sozialer Kontakte werden berücksichtigt. Damit ist der Begriff deutlich weiter gefasst als bisher. Der Fokus liegt nun auf der Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen und der Förderung seiner Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Zudem wird die Pflegebedürftigkeit mit Hilfe des neuen Begutachtungsinstruments anhand von fünf Pflegegraden statt der bisherigen drei Pflegestufen beurteilt. Ein Gutachter bewertet die Pflegebedürftigkeit anhand von sechs Bereichen, sogenannten Modulen, eines Fragenkatalogs zur Alltagskompetenz. Für jedes Modul werden Punkte vergeben, die am Ende addiert werden. Je höher die Gesamtpunktzahl, desto geringer die Selbständigkeit und desto höher die Pflegegrad.

Wir haben die Änderungen vom alten zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff noch einmal kurz für Sie zusammengefasst:

Alter Pflegebedürftigkeitsbegriff Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff

Pflegestufen "0", 1, 2 und 3 sowie "eingeschränkte Alltagskompetenz" (Demenz)

Pflegegrad 1, 2, 3, 4 und 5

Körperlicher Unterstützungsbedarf

1. Körperpflege 
2. Mobilität 
3. Ernährung 
4. Haushaltsführung

Grad der Selbständigkeit

1. Mobilität

2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten

3. Motorik und Psyche

4. Selbstversorgung

5. Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen

6. Alltag und soziale Kontakte

Im Zentrum der Begutachtung: Körperliche Beeinträchtigungen

> Kognitive Einschränkungen nur bei "eingeschränkte Alltagskompetenz"

Ganzheitliche Begutachtung: körperliche als auch psychische und geistige Beeinträchtigungen

> Grad der Selbstständigkeit

Errechnung des Pflegebedarfs:

Täglicher Unterstützungsbedarf in Zeitaufwand (Minuten) berechnet

Errechnung des Pflegebedarfs:

Gesamtpunktzahl der Selbstständigkeit anhand einer definierten Bewertungsskala

Zuletzt geändert am 23.02.2024

QUELLEN
  1. Pflegebedürftigkeitsbegriff, https://www.gkv-spitzenverband.de/pflegeversicherung/pv_grundprinzipien/pflegebeduerftigkeitsbegriff/s_pflegebeduerftigkeitsbegriff.jsp (besucht am 01.09.2023).
  2. Ratgeber Pflege. Alles, was Sie zum Thema Pflege wissen sollten, 2022, Berlin, S. 40 ff.
  3. Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II), https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/pflegestaerkungsgesetz-zweites-psg-ii.html (besucht am 01.09.2023).
  4. Pflegebedürftigkeit, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/p/pflegebeduerftigkeit.html (besucht am 01.09.2023)

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