Deutschlands umfassende Pflege-Beratung

Alle Themen
BEGUTACHTUNGSASSESSMENT

Wie läuft das Begutachtungsassessment ab?

Erstellt am 08.09.2023 | Jennifer Albrecht
Geschätzte Lesedauer: 7 Minuten

Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit erfolgt im Rahmen eines Begutachtungsassessments. Dafür beauftragt die Pflegekasse nach Eingang des Antrags auf Pflegeleistungen den Medizinischen Dienst damit, den Antragsteller vor Ort zu besuchen und ein Gutachten zu erstellen. Der Ablauf dieser Begutachtung ist immer ähnlich gestrickt.

Ein Seniorenpaar sitzt gemeinsam mit einer Pflegeberaterin an einem Tisch. Die Beraterin erklärt etwas anhand von Formularen auf einem Klemmbrett.
Foto von Ridofranz auf istockphoto.com

Sobald Sie einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt haben, beauftragt Ihre Pflegekasse entweder den Medizinischen Dienst (MD) oder eine andere unabhängige berechtigte Person mit der Erstellung eines Gutachtens zu Ihrer Pflegesituation. Sind Sie privat versichert, erfolgt die Begutachtung durch MEDICPROOF, dem medizinischen Dienst der privaten Krankenversicherungen. Der Gutachter-Termin findet vor Ort bei Ihnen Zuhause bzw. in der Einrichtung statt, in der Sie sich zum jeweiligen Zeitpunkt aufhalten.

Tipps für die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst

Kündigt sich der MD bzw. MEDICPROOF an, sollten Sie sich gut darauf vorbereiten, denn dieser Termin ist entscheidend für den Pflegegrad, den Sie erhalten.

  1. Führen Sie ein Pflegetagebuch
    In einem Pflegetagebuch können Sie Ihren Bedarf an Unterstützung im Alltag festhalten. Lassen Sie sich beim Ausfüllen auch von Ihren pflegenden Angehörigen helfen.

  2. Holen Sie sich Unterstützung
    Sie sollten beim Termin nicht allein sein. Holen Sie sich Unterstützung von Ihrem pflegenden Angehörigen, eine Pflegekraft Ihres Pflegediensts oder einen Pflegeberater.
    Haben Sie einen gesetzlichen Betreuer? Dann sollte dieser ebenfalls anwesend sein.

  3. Ärztliche Belege bereithalten
    Halten Sie alle Adressen Ihrer Ärzte & Therapeuten sowie den Medikationsplan oder etwaige Gutachten und Prognosen bereit.

  4. Gutachten zusenden lassen
    Häufig wird dies bereits in den Antragsformularen der Pflegekassen abgefragt: Fordern Sie die Zusendung des fertigen Gutachtens an, denn dies kann im Fall eines Widerspruchs hilfreich sein.

Ein Gutachter-Termin sollte gut vorbereitet sein - laden Sie sich unseren kostenlosen Fragebogen mit wahrscheinlichen Fragen des Gutachters und unsere Checkliste für wichtige Dokumente herunter.

Was beinhaltet das Begutachtungsverfahren?

Bei der Begutachtung soll festgestellt werden, wie selbstständig Sie noch Ihr Leben bestreiten können. Dies geschieht durch die Bewertung Ihrer Fähigkeiten in 6 verschiedenen Themenbereichen, den sogenannten Modulen. Die einzelnen Kriterien werden mit Punktwerten versehen und am Ende zu einem Gesamtwert addiert, aus der sich eine Einstufung in einen Pflegegrad ergibt.

Die Grundlage für dieses Begutachtungsverfahren bilden die „Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches“ des GKV-Spitzenverbandes (Download- bzw. Bestellmöglichkeiten sind in den Quellen verlinkt).

Die Begutachtung bezweckt auch, Maßnahmen zur Förderung bzw. zum Erhalt der Selbstständigkeit und Fähigkeiten zu identifizieren, die über die bisherige Versorgung hinausgehen. Das Gutachten kann daher auch folgende Empfehlungen enthalten:

  • Leistungen für die medizinische Rehabilitation,

  • in Frage kommende Hilfsmittel/Pflegehilfsmittel,

  • Heilmittel & therapeutische Maßnahmen,

  • in Betracht kommende wohnumfeldverbessernde Maßnahmen,

  • edukative & präventive Maßnahmen.

Gut zu wissen: Die im Gutachten empfohlenen Hilfsmittel bzw. Pflegehilfsmittel werden damit direkt beantragt – ein gesonderter Antrag ist nicht erforderlich.


Die 6 Module des Begutachtungsassessments

Die Begutachtung erfolgt im Rahmen von 6 Themenschwerpunkten bzw. Module. Diese Module sehen wie folgt aus:

  1. Modul: Mobilität
    Hier wird beurteilt, wie gut Ihr Angehöriger Bewegungen ausführen bzw. steuern kann.

  2. Modul: Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
    Hier stehen die geistigen Fähigkeiten Ihres Angehörigen im Mittelpunkt.

  3. Modul: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
    In diesem Modul wird beurteilt, wie der Pflegebedürftige mit schwierigen Situationen umgeht bzw. wie Gefühle gesteuert werden.

  4. Modul: Selbstversorgung
    Es wird beurteilt, inwieweit Fähigkeiten bspw. für das selbstständige Bereiten von Mahlzeiten od. die Körperhygiene vorhanden sind.

  5. Modul: Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
    In diesem Modul wird bewertet, ob Ihr Angehöriger selbstständig in der Lage ist, bspw. Spritzen zu setzen oder dem Medikationsplan zu folgen.

  6. Modul: Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
    Hier wird untersucht, inwiefern eine eigenständige Strukturierung des Alltags bzw. Kontaktpflege mit Freunden/Angehörigen möglich ist.

  7. Zwei weitere Module werden zwar erhoben, sie fließen jedoch nicht in die Gesamtwertung mit ein. Die Erhebung dient vor allem der Versorgungsplanung und dem Zwecke einer besseren persönlichen Beratung. Bei den Modulen handelt es sich um:
  8. Außerhäusliche Aktivitäten
    Hier wird erhoben, inwiefern der Pflegebedürftige außer Haus Aktivitäten nachgehen kann bspw. die Teilnahme an Veranstaltungen oder auch der Besuch von teilstationären Pflegeeinrichtungen.
  9. Haushaltsführung
    In diesem Modul wird gefragt, inwiefern der eigene Haushalt noch geführt werden kann – dazu zählen unter anderem Einkaufen, Reinigungsarbeiten und Wäschewaschen.

Wie erfolgt die Berechnung des möglichen Pflegegrads?

Das Begutachtungssystem zur Berechnung eines Pflegegrades umfasst sechs Module mit unterschiedlichen Fragestellungen, für die jeweils Punkte vergeben werden. Die Gesamtpunktzahl (0 – 100 Punkte) am Ende der Begutachtung entscheidet schließlich über die Höhe des Pflegegrads. Die Module 1-6 gehen dabei mit unterschiedlicher Gewichtung in die Gesamtbewertung ein:

  • Modul „Mobilität“: 10 %

  • Modul „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“ od. Modul „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“: 15 %
    Es geht das Modul mit der höheren Punktzahl in die Gesamtberechnung ein.
  • Modul „Selbstversorgung“: 40 %

  • Modul „Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“: 20 %

  • Modul „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“: 15 %

Die Gesamtbewertung lässt sich schließlich wie folgt einem Pflegegrad zuordnen:

  • 12,5 bis unter 27 Punkte: Pflegegrad 1
    Der Pflegebedarf ist niedrig, Selbständigkeit und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen sind nur gering beeinträchtigt
  • 27 bis unter 47,5 Punkte: Pflegegrad 2
    Erhöhter Pflegebedarf, Selbstständigkeit und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen sind erheblich beeinträchtigt

  • 47,5 bis unter 70 Punkte: Pflegegrad 3
    Hoher Pflegebedarf, Selbstständigkeit und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen sind schwer beeinträchtigt

  • 70 bis unter 90 Punkte: Pflegegrad 4
    Höchster Pflegebedarf, Selbstständigkeit und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen sind schwerst beeinträchtigt

  • 90 bis 100 Punkte: Pflegegrad 5
    Höchster Pflegebedarf mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung, Selbstständigkeit und Fähigkeiten des Pflegebedürftigen sind schwerst beeinträchtigt

Wie erfolgt die Bewertung der Selbstständigkeit?

Bei der Beantwortung der einzelnen Fragestellungen ist der Grad Ihrer Selbstständigkeit ausschlaggebend. Die Einschätzung des Gutachters kann sich hier zwischen 4 Graden bewegen: „selbstständig“, „überwiegend selbstständig“, „überwiegend unselbstständig“ und „unselbstständig“. Doch was verbirgt sich im Detail dahinter?

1. Selbstständig

Unter „selbstständig“ werden Handlungen verstanden, die Sie ohne fremde Hilfe durchführen können. Dies trifft auch dann noch zu, wenn für Handlungen etwas mehr Zeit oder ein Hilfsmittel benötigt werden. Auch Beeinträchtigungen, die nicht dauerhaft auftreten, oder Handlungen, bei denen ab und zu kleinere Schwierigkeiten auftreten, fallen noch unter „selbstständig“.

2. Überwiegend selbstständig

Als „überwiegend selbstständig“ werden Handlungen bezeichnet, die Sie noch größtenteils selbst ausführen können und nur wenig Unterstützung seitens der Pflegeperson nötig ist.

Diese Unterstützung kann beispielsweise wie folgt aussehen:

  • Die Pflegeperson bereitet eine Handlung durch Bereitlegen von Gegenständen vor, die Handlung selbst wird aber von der pflegebedürftigen Person ausgeführt.

  • Die Pflegeperson gibt den Anstoß zu od. gibt Hinweise zu Teilschritten einer Handlung.

  • Die Pflegeperson beaufsichtigt die Handlung und greift gegebenenfalls unterstützend ein.

  • Die Pflegeperson beaufsichtigt die Handlung aus Sicherheitsgründen, weil die pflegebedürftige Person bspw. sturzgefährdet ist.

3. Überwiegend unselbstständig

Wenn die pflegebedürftige Person nur zu einem geringen Teil an den Pflegehandlungen teilnehmen kann, wird dies als „überwiegend selbstständig“ bezeichnet. Dies kann wie folgt aussehen:

  • Die Pflegeperson muss die Pflegehandlung durchgehend motivierend oder anleitend begleiten.

  • Die pflegebedürftige Person ist zwar beweglich genug für die Handlung, benötigt aber aufgrund geminderter geistiger Kraft eine lenkende Begleitung der Handlung.

  • Die Pflegeperson muss die Handlung von Anfang bis Ende vormachen und beaufsichtigen oder einen erheblichen Teil der Einzelschritte selbst ausführen.

4. Unselbstständig

Unter „unselbstständig“ wird verstanden, wenn die pflegebedürftige Person weder eine gesamte Pflegehandlung noch die einzelnen Teilschritte selbstständig durchführen kann. Die Pflegeperson muss (fast) alle Pflegehandlungen selbst durchführen, da auch durchgehende Motivation oder Anleitungen nicht ausreichen, um die pflegebedürftige Person zu aktivieren. Eine minimale Beteiligung der zu pflegenden Person ist für die Bewertung hier nicht relevant.

Neben dem Grad der Selbstständigkeit werden auch vorhandene Fähigkeiten untersucht und bewertet. Dies erfolgt ebenfalls in 4 Graden: „Fähigkeiten vorhanden“, „Fähigkeiten größtenteils vorhanden“, „Fähigkeiten in geringem Maß vorhanden“ und „Fähigkeiten nicht vorhanden“. Diese 4 Grade werden wie folgt klassifiziert:

1. Fähigkeiten vorhanden

Eine Fähigkeit ist (nahezu) uneingeschränkt vorhanden.

2. Fähigkeit größtenteils vorhanden

In diesem Fall ist eine Fähigkeit die meiste Zeit vorhanden, aber nicht durchgängig. Die pflegebedürftige Person hat beispielsweise Probleme komplexere Anforderungen zu bewältigen.

3. Fähigkeiten in geringem Maß vorhanden

Eine Fähigkeit ist zwar vorhanden, aber in einem starken Maß beeinträchtigt. Meist können nur geringe Anforderungen bewältigt werden, es sind aber grundsätzlich noch Kräfte vorhanden, die aktiviert werden können.

4. Fähigkeit nicht vorhanden

Eine Fähigkeit ist nicht vorhanden oder nur noch in sehr geringem Maß. Es gibt keine Kräfte, die aktiviert werden können.


Diese Pflegeleistungen könnten für Sie in Frage kommen:


Wie erfolgt die Begutachtung von Kindern?

Die Begutachtung von Kindern stellt eine besondere Herausforderung dar. Während Erwachsene Ihre Selbstständigkeit bzw. bestimmte Fähigkeiten aufgrund von Alter, Krankheit oder einer Behinderung verlieren können, müssen Kinder die meisten Fähigkeiten überhaupt erst entwickeln. Wie also beurteilt man Kinder hinsichtlich einer möglichen Pflegebedürftigkeit?

Bei älteren Kindern werden die vorhandenen Fähigkeiten mit denen eines gleichaltrigen gesunden Kindes verglichen. Bei Kindern bis 18 Monaten ist die Lage noch einmal anders. Diese Kinder sind aufgrund ihres Alters in allen Bereichen des täglichen Lebens unselbständig. Hier werden daher die Module 3 „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ und 5 „Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ zur Beurteilung herangezogen, da diese altersunabhängig bewertet werden können. Darüber hinaus erhalten Kinder bis 18 Monate grundsätzlich einen Pflegegrad höher als durch die Begutachtung festgestellt.

Wie lege ich Widerspruch gegen eine Fehlentscheidung ein?

Bei der Begutachtung der Pflegesituation sieht der Gutachter in der Regel nur eine Momentaufnahme, daher kann es schon einmal zu einer Fehleinschätzung kommen. In diesem Fall haben Sie einen Monat Zeit schriftlich Widerspruch bei der Pflegekasse einzureichen. Der Widerspruch kann zunächst einmal formlos ohne Begründung erfolgen, sollte aber dennoch folgende Informationen enthalten:

  • Namen & Adresse der widersprechenden Person,

  • eindeutige Formulierung „hiermit lege ich Widerspruch ein“,

  • um welchen Bescheid es geht (Aktenzeichen + Datum des Bescheids),

  • Unterschrift der widersprechenden Person.

Die Begründung kann später nachgereicht werden.

Für die Begründung sollten Sie unbedingt das Pflegegutachten zu Rate ziehen. Sollte dies nicht zusammen mit dem Bescheid der Pflegekasse eingegangen sein, können Sie es bei der Pflegekasse anfordern. Vergleichen Sie Ihre eigenen Erfahrungen mit den Aufzeichnungen im Gutachten und notieren Sie Abweichungen. Sofern noch nicht geschehen, sollten Sie jetzt beginnen ein Pflegetagebuch zu führen. Sammeln Sie außerdem alle Gutachten, Atteste, Arztbriefe u.Ä., die Aufschluss über die Pflegesituation geben und legen Sie diese Ihrer Begründung bei. Sollten seit der Begutachtung weitere Dokumente erstellt worden sein, sollten Sie diese ebenfalls unbedingt beilegen.

Weitere Hilfe erhalten Sie bei Pflegeberatern in einem Pflegestützpunkt in Ihrer Nähe. 

So erhalten Sie Pflegehilfsmittel

Bleiben Sie auf dem Laufenden Ganz einfach mit unserem Newsletter

Wir informieren Sie regelmäßig über Neuigkeiten und aktuelle Angebote zu den Themen Gesundheit und häusliche Pflege.

Kostenlosen Newsletter abonnieren